Dreißigjährige Männer vs She-Hulk
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Es gibt durchaus Dinge, die man an Marvels neuer Serie She-Hulk kritisieren könnte: Die etwas uneleganten Visual Effects, die aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen entstanden sind; oder die in Teilen problematische Originstory der Figur. Aktuell sucht sich allerdings ein gehöriger Teil des Fandoms zielsicher die albernsten Gründe aus, warum sie die Show nicht mögen. Schon bevor die erste Folge ausgestrahlt wurde, hagelte es wütende Beiträge auf der Review-Seite IMDb, was demonstriert, dass es hier vielleicht gar nicht um die Qualität der Serie geht. Aktuell stellt She-Hulk dort den traurigen Rekord für die meisten Ein-Stern-Publikumsrezensionen von allen Marvelserien auf. Die Protagonistin sei arrogant und nervtötend, das Drehbuch krampfhaft feministisch und sexistisch gegenüber Männern (??) liest man dort. Die Statistik zeigt: Die meisten dieser negativen Rezensionen haben Männer zwischen 30 und 44 geschrieben.
In meinem Newsletter und im Internetfeuilleton 54books habe ich einmal über etwas geschrieben, das ich „Legacy Hero Latency“ genannt habe. Das Phänomen, dass Held*innen das Erbe von anderen annehmen und sich teils Jahre später eine größere Gruppe von Menschen darüber ärgert, weil die neuen Held*innen anders agieren als ihre Vorgänger*innen. Ähnliches scheint bei She-Hulk passiert zu sein. Im selben Atemzug und ohne jegliche Selbstironie wird kritisiert, dass die Figur eine neue Kopie von Hulk sei und dass sie außerdem ganz anders als Hulk agiere. Eigentlich gibt es die Figur schon seit Anfang der Achtzigerjahren. Marvel hatte She-Hulk damals primär erschaffen, um die Rechte an einer weiblichen Version des Hulks zu haben. In ihrem ersten Comic wird sie von einem Auftragsmörder angeschossen. Ihr Cousin Bruce Banner aka The Hulk findet sie und gibt ihr eine Bluttransfusion, weil es zu weit bis zum nächsten Krankenhaus ist. Bei diesem Prozess überträgt sich die Gammastrahlung seines Blutes auf sie. Seitdem ist die Anwältin Jennifer Walter, von Freunden Jen genannt, She-Hulk. „It‘s a girl! But look at the size of her!“, ruft jemand als sie sich zum ersten mal verwandelt. Das ganze ist eine ziemliche Adams-Rippe-wird-zu-Eva-Situation. Eine sehr schlecht gealterte Art von Erzählung, die die Disney-Verfilmung so gut es geht versucht nachzujustieren.
Zu einer eigenständigen Figur hat sich She-Hulk dann Ende der Achtziger entwickelt. In John Byrnes Sensational She-Hulk bekämpft sie Froschmänner mit Laserpistolen, wird unter Gehirnwäsche Teil des Zirkus und spricht gelegentlich direkt die Leser*innen an, wie sie es jetzt auch in der Verfilmung macht. Jennifers Charakterisierung als spaßige Figur mit weirden Abenteuern und noch weirderen Gegenspieler*innen findet in den ersten acht Heften statt und wurde in neueren Reihen verfestigt. Die She Hulk-Comics von 2004, an denen sich die Verfilmung am meisten orientiert, konzentrieren sich auf Jens Job als Anwältin. In der 2014-Reihe mit dem selben Namen macht sie sich selbstständig und muss sich ihr neues Bürogebäude mit anderen Superheld*innen und paranormalen Wesen teilen. Der Grundton ist dabei immer spaßig, bunt und schräg
Von 2016 bis 2021 haben sowohl Tamaki und Leo in Hulk als auch Jason Aarons in seinem Avengers-Run von 2018 versucht, Jennifer mehr wie ihren Cousin Bruce wirken zu lassen: unter Trauma leidend, düster und introspektiv. Durch zusätzliche Gammastrahlen wird sie größer, muskulöser und unkontrollierbarer. In Avengers #20 kämpfen original Fun-She-Hulk und ihre neue Riesenversion in Jens Gedächtnis. Heft #50 macht dann alles wieder rückgängig. In der aktuellen Reihe von Rainbow Rowell und Rogé Antônio kehrt sie vollständig zu ihren alten spaßigen, bunten Wurzeln zurück.
Es scheint so als hätten manche bei der Disneyserie eventuell eine Hulk-ähnliche Geschichte erwartet, weil es das einzige ist, was sie kennen. Der Figur She-Hulk wird von Teilen des Serienpublikums vorgeworfen, sie würde nicht die Schmerzen ihres Cousin verstehen. Eine klassische Entwicklung in Form einer Originstory, in der die Protagonist*innen etwas traumatisches erleben und innere wie äußere Hindernisse überwinden müssen, um zu sich selbst zu finden, haben manche wohl vermisst. Was dabei vollkommen außer Acht gelassen wird: She-Hulk ist keine Hulk-Kopie. Sie ist eine seit den Achtzigerjahren stetig weiterentwickelte Figur, die mit Bruce Banner nur Gene und Gammastrahlungen im Blut gemeinsam hat. Ursprünglich wurde sogar geplant, die Herkunft von Jennifers Kräften erst in Episode acht zu erklären. Nach einigem hin und her entschied man sich aber doch das Ganze kompakt und schnell in der ersten Folge abzuhaken. Ob ersteres besser gewesen wäre lässt sich schwer sagen. Zumindest hätten sich die Macher*innen eventuell ein paar direkte Hulk/She-Hulk-Vergleiche sparen können.
Natürlich wird es einige im Marvel-Fandom geben, die per se Probleme mit weiblichen Superheld*innen haben. Vor allem wenn sie auf gesellschaftliche Missstände hinweisen oder Männer in einer inzwischen fast obligatorischen Catcall-Szene zurechtweisen. Wer sich mit dem als überheblich angelegten Ex-Waffenverkäufer Iron Man identifizieren kann, aber es als arrogant empfindet, wenn Captain Marvel oder She-Hulk mal keine von Trauma zerfressenen, selbstaufopfernden Frauenfiguren sind, der sollte allgemein seine internalisierten Erwartungen an Geschlechterrollen hinterfragen. Allgemein würde ein Großteil davon profitieren sich vor Augen zu führen, dass She-Hulk keine klassische Superheld*innen-Serie sein will und auf Standard-Erzählmuster, die man sonst von Marvelprojekten gewohnt ist, verzichten wird. Hört man auf, die Serie mit anderen zu vergleichen, bemerkt man nämlich, wie viel Spaß das Ganze macht.
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