Kompromiss-Picknick im Uncanny Valley
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Mit viel Spott reagierten Zuschauer*innen vorletzte und diese Woche auf den She-Hulk-Trailer. Insbesondere Ausdruck und Körperform der Protagonistin wirkten auf viele merkwürdig. Wie kann es Marvel Studios mit einem Budget von über 20 Millionen pro Folge nicht hinbekommen die Heldin überzeugend aussehen zu lassen?
Oft fiel dabei der Begriff des sogenannte Uncanny Valley; ein auf Designer Masahiro Mori zurückgehendes Phänomen (japanisch 'bukimi no tani genshō' 不気味の谷現象), das besagt, dass wir manches als gruselig wahrnehmen, wenn es zu menschenähnlich ist. Nach Mori bauen wir eigentlich dann ein vertrauensvolles Verhältnis zu computergenerierten und mechanischen Dingen auf, je ähnlicher es uns selbst sieht. Ein Teddy wird von einem Kleinkind deswegen sofort akzeptiert, so die These, weil es sich mit ihm identifizieren kann. Das kann aber überstrapaziert werden (Christoph Bartneck spricht in den Nullerjahren von „Uncanny Cliff“). Manche Puppen oder Roboter rufen bei uns Unbehagen hervor, weil sie uns zu ähnlich sehen, aber dennoch unrealistisch wirken. Dann befinden wir uns auf Moris Grafik im Uncanny Valley.
Eine spannende Wendung hat die Auseindersetzung über She-Hulks Design durch einen ominösen Tweet von Visual-Effects-Artist Sean Ruecroft genommen, der IMDb zufolge schon an Morbius, Blade Runner 2049 und Spider-Man: Homecoming mitgearbeitet hat: „I was at a company that did VFX for this. Apparently she was bigger early on, but the notes kept saying to make her smaller’.” Ruecroft hat mittlerweile Tweet samt Twitteraccount gelöscht, aber nicht bevor jemand das ganze screenshotten konnte.
Aus der eigentlich noch recht harmlosen Diskussion über She-Hulks Gesicht wurde eine politische Debatte über Männer- und Frauenkörper in Superheld*innen-Medien, in der sich einige ein wenig zum Affen gemacht haben. Viele Bilder aus Jason Aarons/Ed Mcguinness Avengers-Comics wurden gepostet, in der She-Hulk aufgrund zusätzlicher Gammastrahlung besonders breite Schultern hatte, was lustig ist, wenn man bedenkt, wie sehr das Design noch 2019 gehasst wurde. Andere packten die grundsätzlich nie sonderlich überzeugende “Aber das ist in den Comics genauso”-Begründung aus. “She-Hulk gets her powers from a blood transfusion so she has less gamma blood than Hulk. Which is why she is much smaller than her cousin. The End”, schrieb wer als würde das fast 100 Jahre sexistische Colaflaschen-Superheldinnen-Comicdesigns entschuldigen.
Die ganze Debatte zeigt zwei Dinge. 1.) Gutes Design ist keine Geldfrage. Die neuste Cats-Verfilmung, die allgemein als besonders schlecht empfunden wird, hat 90 Millionen Dollar gekostet. Wer schon mal kreative Auftragsarbeit erledigt hat, weiß, dass Anmerkungen von Kund*innen die ursprüngliche Vision vollständig zerstören können. In diesem Fall kam offenbar auch noch ein über Jahrzehnte hinweg gepflegtes unrealistisches Frauenbild hinzu. 2.) Menschen haben offenbar die Schnauze voll von fehlender Variation bei Frauenkörpern im Kino. Mehrfach wurde ein Bild von einem Ork, einem Troll und einem Dämon gepostet, die männlich alle unterschiedlich aussahen und weiblich alle gleich.
Marvel hat inzwischen das Design etwas nachkorrigiert. Allerdings vor allem Details im Gesicht und weniger ihre Körperform. Ich bin gespannt, wie sich das ganze weiterentwickelt.
Andere Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Neues Poster und Trailer für Thor. Love and Thunder (Hier eine Detailanalyse von mir)
Leak vom Blue Beetle-Outfit.
Offizieller KFC-Twitteraccount macht Morbius-Meme
User Morbius247 livestreamt Morbius mehrfach auf Twitch.
Look und Hintergrund von Namor für Black Panther 2 offenbar geändert.
Gerüchte darüber, wie Krysten Ritter als Jessica Jones Teil des MCU werden soll.
Comics, Comics, Comics
Captain Carter #3
Im März habe ich recht angetan über das erste Heft von Captain Carter geschrieben. In dieser Reihe erhält statt Steve Rogers aka Captain America die Agentin Peggy Carter das Superserum. Als Captain Carter kämpft sie gegen Hydra und das Patriarchat. Leider habe ich seit Heft drei das Gefühl, die Luft ist raus. Es gibt einen sehr unterhaltsamen Moment, in dem sie ihr Schild scheinbar wegwirft, um sich mit einem Bösewicht zu prügeln, aber ansonsten wirkt alles wie lieblos hingeklatscht. Und auch der Versuch einer feministischen Figur scheint unter zu viel Kalenderspruch-Girlboss-Vibes vergraben.
DC vs. Vampires: Hunters
Die letztes Jahr erschienene DC vs Vampires-Miniserie von Mathew Rosenberg, James Tynion IV und Otto Schmidt war ein kleiner Überraschungserfolg. Jetzt hat Rosenberg einen Spin-Off bekommen, das sich ganz auf Damian Wayne konzentriert. Auffällig ist dabei das sehr dynamische Artwork von Neil Googe. Über ganze Seiten spannen sich teils panelsprengende Kampfszenen. Damian fliegt förmlich durch die Vampire hindurch, die sich hinter ihm in Pulver auflösen.
Mit ein wenig DC-Wissen lässt sich dieses Comic auch ohne die Hauptreihe verstehen. Wer sich allerdings nichts spoilern lassen möchte, sollte sie dennoch lesen. Auch, weil sie super spaßig ist.
Galaxy. The Prettiest Star
Ich bin ein wenig spät dran hiermit. Dieses gerade für DC fantastisch unverhohlen queere Comic von trans Autorin Jadzia Axelrod und Jess Taylor hatte bereits einen Preview am amerikanischen Free Comic Book Day. Inzwischen habe ich den ganzen Band gelesen und bin extrem begeistert. Protagonistin von Galaxy ist Space Prinzessin Taylor, die sich auf der Erde als Junge ausgeben muss, damit sie nicht von ihren außerirdischen Feind*innen gefunden werden kann. Als sie die gerade hinzugezogene Kat kennenlernt, bemerkt sie, dass sie sich nicht mehr verstecken möchte.
Galaxy spielt ganz offensichtlich im DC Universum. Und ich hoffe sehr, dass Taylor zukünftig auf Superman trifft und sie sich über Identität und in seinem eigenen Körper fremd fühlen austauschen. Leider besteht die nicht unberechtigte Gefahr, dass Axelrods und Taylors Comic zukünftig unter den Teppich gekehrt wird, wie andere trans Geschichten auch.