Spider-Man & The Multiverse of Women Falling from High Buildings
Es gibt so einige Dinge im Superheld*innengenre die ich, um es vorsichtig auszudrücken, einmal zu oft gesehen habe. Dazu gehören bestimmte Typen von Originstories, die Auferstehung von eigentlich toten Charakteren und gritty Reboots. Gerade in Mainstreamproduktionen, bei denen es um sehr viel Geld geht, verlässt man sich gerne auf Altbewährtes und wiederholt sich wieder und wieder und wieder. Es gibt in den Comics mehrere Batmans, Spider-Mans, und Supermans, aber auf der Kinoleinwand bekommen wir immer dieselbe Version zu Gesicht. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren insgesamt sieben Spider-Man-Spielfilme gesehen und wünsche mir seit etwa zehn davon eine andere Figur als Peter Parker. (Der Into the Spiderverse-Animationsfilm war eine angenehme Ausnahme.)
Eine von den vielen wiederkehrenden Erzählungen, die ich wirklich nicht mehr sehen möchte, sind sterbende Frauen, die als tragische Hintergrundgeschichte für den männlichen Helden benutzt werden; eine Art Manic Pixie Dream Girl, die dem Protagonisten allerdings nichts über das Leben beibringen, sondern über den Tod. Gail Simone, eine Comiczeichnerin, die ich in diesem Newsletter schon öfters erwähnt habe, nennt das Phänomen „Women in Refrigerators“. Auf der zugehörigen Webseite findet sich eine Liste mit allen weiblichen Figuren, die in den Comics sterben mussten, weil die Handlung irgendeinen edgy Moment brauchte. Der Begriff geht auf Green Lantern #54 (Neunzigerjahre natürlich) zurück, in dem der Protagonist seine Freundin tot in einem Kühlschrank vorfindet.
Als diese Woche mit viel Tamtam der Spider-Man: No Way Home Trailer herauskam, hab ich mich zunächst gefreut. Endlich bekamen wir das Dr. Strange-Spider-Man-Mashup-Kostüm, das uns eine Action-Figur vor einem halben Jahr gespoilert hat. Außerdem gab es spaßige Spekulationen über die brasilianische Version des Trailers, Scooby-Doo-Referenzen, neue Anzugdesigns für alte Bösewichte und ein riesigen Captain America-Schild. Am besten schaut ihr ihn euch an, falls ihr das noch nicht getan habt:
Meine Freude überschattet hat der sehr kurze Abschnitt, in dem MJ rücklings ein Gebäude herunterfällt und Holland-Spider-Man (oder ein anderer Spider-Man?) sie fangen muss. Da ist es schon wieder: das „Women in Refrigerators“-Phänomen. Um das zu erklären, braucht es etwas Kontext. 1973 kamen die Comics The Amazing Spider-Man #121 und #122 heraus, die mittlerweile unter dem extrem spoilery Titel The Night Gwen Stacey Died bekannt sind. Darin wird Spider-Mans Freundin Gwen Stacy von Bösewicht Green Goblin mehre Meter fallen gelassen, bis der Held sie mithilfe seiner Spinnennetze fängt. Das Tragische: Durch den Rückstoß beim Fang bricht ihr Genick. Auf einem Panel hält Spider-Man sie in seinen Armen und ruft die Worte „You killed the woman I love and for that you‘re going to die“.
Die zwei Comics gehören bis heute zu den bekanntesten in der sechzig Jahre langen Historie der Figur. Jede*r Autor*in, die*der je etwas mit dem Charakter zu tun hatte, ist sich im Klaren darüber, dass es diese Geschichte gibt. In einem etwas neueren Comic zückt Peter Parker in einem Gespräch mit MJ sogar ein Foto von Gwen Stacy. Der Creep hat die ganze Zeit ein Bild seiner toten Ex im Geldbeutel, um seine jeweils neuste Verflossene mit einem “Du bist eben nicht sie” zu traumatisieren. Sam Raimis Kinofilme von 2002 bis 2007 enthalten eine Szene, in der MJ in den vermeintlich sicheren Tod stürzt, aber in letzter Sekunde gerettet wird. Anders als in der ursprünglichen Geschichte schwingt der Held allerdings von der Seite an sie heran und schießt keine Spinnennetze. Entsprechend gibt es diesmal keinen Rückstoß und keinen Halsbruch. Als der erste Reboot von Marc Webb (lustiger Name in dem Kontext) Stacey einführte und sie im Trailer für den zweiten Film denselben Mantel anhat wie in der The Night Gwen Stacey Died-Storyline, ahnten Fans bereits schlimmes. Nun, in 2021, bekommen wir den exakt gleichen Mist aufgetischt und ich will es nicht mehr sehen. Tötet Holland und lasst MJ zur Spiderfigur Silk werden. Traut euch was Neues und bitte hört auf, Frauen von hohen Gebäuden fallen zu lassen.
Andere Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Anlässlich des Disney+-Days letzte Woche gab es so einige Marvelserien-Ankündigungen. Ms. Marvel, Moon Knight und She-Hulk bekamen außerdem kurze Teaser. Eventuell schreibe ich im nächsten Newsletter mehr dazu und gebe ein paar Comictipps zu den entsprechenden Held*innen.
Superheld*innen-Contenthaufen
Große Freude hat mir diese Woche dieser Thread von einem Busfahrer gemacht, der eine Kampfszene aus Shang-Chi im Detail analysiert hat. Weniger erfreulich war ein Fanbacklash als angekündigt wurde, dass Mary Marvel, Shazams Schwester, der „neue Shazam“ wird. Das war zu erwarten, ist aber trotzdem jedes mal von neuem nervig. Die Hauptkritik: Mary Marvel wäre eigentlich nur eine gendergewappte Version von dem männlichen Original, Autor*innen sollten sich neue Figuren ausdenken und nicht etablierte verschwinden lassen.
Allerdings gibt es Mary Marvel seit 1942. Schon damals hatte sie ihre eigene Comicreihe. Sie tritt sowohl in dem Shazam-Film von 2019 auf als auch in dem LEGO-Feature Lego DC Shazam: Magic and Monsters. Schon dort ist sie als einer der vielen Shazams bekannt. Alles was also passiert, ist, dass Mary unter dem Titel Shazam eine neue Serie bekommt. Niemand wird ersetzt, niemand wurde neu erfunden, alles beim alten, nur mehr Comics.
Eine berechtige Kritik äußerte die Fangemeinde die letzten Wochen an Postern für die neue Disney+/Marvelserie Hawkeye. Einigen ist aufgefallen, dass sich die Werbung sehr an dem Artwork von Illustrator David Aja orientiert, ohne dass dieser genannt oder bezahlt worden wäre. Aja hat zusammen mit Matt Fraction eine sehr gute Hawkeye-Comicreihe gezeichnet, die offenbar auch handlungstechnisch mehr als ein Vorbild für die neue Produktion ist. Hier eines der Poster und eines der Comiccover im Vergleich:
Comics, Comics, Comics
Batman Secreit Files: The Gardener #1
Die Secret Files-Reihe ist ziemlich Hit‘n‘Miss. Dieses Heft mochte ich, weil sie neben der Originstory von Bella Garten auch eine meiner Lieblingsbösewichtinnen enthält: Poison Ivy. Statt die Ökoterroristin, wie leider oft, als aufreizende Femme Fatale-Side-Kick-Figur darzustellen, sieht man sie hier in ihrer besten Form: wütend und queer.
Robins #1-2
Batman hat im Laufe seiner Comicgeschichte eine Menge Kinder adoptiert und zu Kampfmaschinen ausgebildet. Inzwischen sind es so viele, dass sie ein eigenes Team gegründet haben. Ich mochte die witty Dialoge und die Dynamik zwischen den fünf inzwischen recht etablierten Figuren.
Kang #4
Ein junger Kang reist durch die Zeit, um sein älteres Ich vom Schlimmsten abzuhalten und seine eigene Geschichte zum Besseren zu wandeln. Viel Parallelwelten, Dinos und Laserwaffen. Das Comic ist recht verwirrend, aber eine gute Einführung in den Charakter, den wir spätestens in Ant-Man and the Wasp: Quantumania auf der großen Leinwand sehen werden.