Eine Superheld*innen-Comic-Historie anhand von Popos
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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„Man kann die gesamte Superheld*innen-Comicgeschichte anhand von Hintern erklären. Aber sollte man?“, twitterte ich vor ein paar Tagen, mit dem Hintergedanken, dass ich das früher oder später irgendwann versuchen möchte. Jetzt ist es wohl doch früher geworden.
Die Comic-Hysterie in den Fünfzigerjahren und die damit verbundene Selbstzensur sowie ihre Lockerung in den Siebzigern, die sexualisierten Neunziger und Nullerjahre und die Debattenkultur 2010: alle haben gewissermaßen etwas mit Arsch-Illustrationen zu tun. Ebenfalls hat der Wert mancher Variant-Cover, feministische Bemühungen im Superheld*innenbereich und die vermehrte Verwendung von Frosch-Kamera-Perspektiven in Nullerjahre-Comics einen starken Popo-Bezug.
Die Superheld*innen-Geschichte wird üblicherweise in Golden Age, Silver Age und Modern Age unterteilt (manchmal auch mit Bronze Age dazwischen). Als Startpunkt des Golden Age gilt die Publikation von Action Comics #1 1938. Ein abruptes Ende nahm diese Phase als eine Reihe von pseudowissenschaftlichen Publikationen Eltern vor der Brutalität und „homosexueller Phädophilie“ in Comics warnten. Daraufhin bildete sich die Comic Code Authority, ein von Verlagen finanzierter Jugendschutz, der für etwa fünfzig Jahre dafür sorgte, dass gewisse Regeln eingehalten wurden. Das Golden Age of Comics war ohnehin kein goldenes Zeitalter für Popos, aber die Selbstzensur hat das Ganze noch verstärkt.
Als sich die Vorschriften im Silver Age Anfang der Siebziger lockerten, führte das zu deutlich körperbetonteren Illustrationen. Auf dem Cover von Marvel Graphic Novel #18 präsentiert She-Hulk in einem Ganzkörper-Badeanzug ihre Muskeln und erinnert dabei an die Body Builder-Wettbewerben der Sechzigerjahre. Comiczeichner John Byrne hatte eventuell ein wenig zu viel Freude an körperlichen Rundungen. Anders als noch im Golden Age, in dem man die Superheld*innen vor allem nach Vorne gerichtet sah, drehten sich hier Figuren jetzt auch ab und an von der Leser*innenschaft weg und demonstrierten dabei ihren teils ausladenden Hintern. An einer Stelle drückt die Protagonistin den Pobbes ihres Liebsten und bemerkt: „It‘d be a crime against nature to let anything happen to those buns!“
Endgültig explodiert sind Comic-Hintern dann förmlich und sinngemäß in den Neunzigerjahren. „Sex had gone mainstream“, schreibt David Fried in The Naughty Nineties über diese Zeit. Songs wie Let‘s Talk about Sex von Salt‘n‘Peppa und Madonnas Erotica führten die Charts an und der Sexskandal um Bill Clinton war das Hauptthema einiger Medien. Die sexuelle Revolution der Sechziger hatte einen Höhepunkt erreicht, aber patriarchalische Strukturen und Kapitalismus sorgten dafür, dass einige dieser hart erarbeiteten Ergebnisse kommerzialisiert und in vorhandene Machtstrukturen gepresst wurden. In dieser Zeit ist sowohl eines der Comics mit dem höchsten Sammelwert (1500 Dollar für Danger Girl #2 mit einem Variant Cover von J. Scott Cambell) als auch eins mit dem niedrigsten (5 Cent für Avengelyne Glory #1) entstanden; beides wegen der prominenten Popos, vermute ich. Offenbar wurde es nicht nur erlaubt, Hintern zu zeigen, es wurde ermutigt. Vor allem Superheldinnen richteten sich teils gleichzeitig nach vorne undnach hinten, um Brüste und Popo zu demonstrieren. Das Wiki TV Tropes nennt diese vollkommen unnatürliche Verrenkung Boobs and Butt-Pose. Andere haben sie Brokeback Pose getauft. Rogues Hinterteil wurde in einer Folge aus der 90er-X-Men-Serie so groß gezeichnet, dass das Bild zu einem „Dat Ass“-Meme geworden ist. Männer-Ärsche sah man unter anderem in Fantastic Four Vol 1 #392. Auf dem Cover ist Dark Raiders Rücken zur Leser*innenschaft gedreht. Avengers Vol 1 #113 zeigte Captain Americas Popo deutlich voluminöser als in den Vierzigerjahren. Und New Titans Vol. 1 #75 begann Nightwing 1991 als den Superhelden mit dem prominentesten Badonkadonk zu etablieren.
Was in den Naughty Nineties begann, wiederholte sich in den Nullerjahre als Farce. Civil War #2 beinhaltet ein vollkommen unnötiges Panel mit She-Hulks Hinterteil aus der Froschperspektive. Der Ableger Civil War: The Initiative wiederholt das ganze mit Captain Marvel. Die Eigenschaften der Badeanzug-Kostüme, die bei She-Hulk in den Achtzigerjahren bereits für betonte Rundungen gesorgt haben, werden von den vorwiegend männlichen Illustratoren ausgeschöpft. Gleichzeitig gibt es in diesem Jahrzehnt aber auch Zeichnerinnen, die es sich als Ziel gesetzt haben, den Männer-Popo mehr in den Mittelpunkt zu rücken. In Secret Six #9 zeichnet Nicola Scott Nightwing von hinten, den Oberkörper leicht gedreht. Etwas, das absichtlich an eine Brokeback Pose erinnern soll.
Die Zeit von 2010 bis 2020 ist vor allem von Debatten im Netz geprägt; und das betrifft auch Popos. Ein Tumblr (weil natürlich) mit dem Namen Hawkeye Initiative fing an, Fan Art von Künstler*innen zu sammeln die Superhelden in denselben Posen zeigt, wie üblicherweise Superheldinnen. Etwas, das im Grunde direkt an Scotts Nightwing-Illustration anknüpft. Große Teile des Fandoms wurden zum ersten mal darauf gestoßen, dass die Sexualisierung von männlichen und weiblichen Körpern auch im 21. Jahrhundert noch sehr unterschiedlich aussieht. Als der damals siebzigjährige Italiener Milo Manera 2014 ein Cover für Spider-Woman #1 zeichnet, ist die gerade sensibilisierte Fangemeide wütend. Die Figur wölbt auf unnatürliche Art den Rücken und streckt ihre Gesäß in die Luft. Scott Campell, der Danger Girl für das oben genannte Variant Cover auf die exakt selbe Art gezeichnet hat, verteidigt Manera. Spider-Man würde auch seinen Hintern in die Luft strecken, behauptete er und postete ein aktuelles Bild, das nur sehr vage an die Pose von Maneras Spider-Woman erinnert. Illustrator Frank Cho zeichnete monatelang andere weibliche Comicfiguren in Maneras Stil, um sich gegen „Cancel Culture“ zu wehren – was auch immer das sein soll.
Ich bin mir sicher, man könnte noch viel mehr über Comic-Hintern schreiben. Was für einen wichtigen Stellenwert sie in der Superheld*innengeschichte haben, war mir auch nicht bewusst, bevor ich mit der Recherche begonnen habe. Aktuelle Filme und Games habe ich bewusst ausgelassen, weil es wirklich den Rahmen gesprengt hätte. Für das Erste habe ich auf jeden Fall genug von Arsch-Zeichnungen.
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