Superqueeroes Teil 4. Wie schwul/lesbisch sind die X-Men denn jetzt?
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Mittlerweile habe ich vermutlich 30 bis 50 unterschiedliche Medien darüber konsumiert, dass Superheld*innen-Geschichte XY jeweils eine Metapher für etwas ganz anderes ist. Spider-Man erzählt eigentlich eine Geschichte über die männliche Pubertät. Superman steht für die Erfüllung des American Dream. Und die Comicreihen Watchmen und The Boys sind Abhandlungen über Faschismus. All das stimmt natürlich bis zu einem bestimmten Grad. Allerdings beschränken diese Lesarten des Öfteren auch den Blickwinkel und können ab und zu sogar problematisch werden. Nirgendwo ist das so offensichtlich wie in den X-Men-Comics und ihrem Verhältnis zu LGBTQIA+-Themen.
Spätestens seit das Superheld*innen-Team international durch die Filme aus den Nullerjahren bekannt wurde, hagelte es Artikel darüber, wie die X-Men eigentlich eine Metapher für Diskriminierung gegen Minderheiten sind. „Mutants, Metaphor, and Marginalism: What X-actly Do the X-Men Stand For?” schrieb Andrew Miller im Journal of the Fantastic in the Arts. 2016 erschien The New Mutants: Superheroes and the Radical Imagination of American Comics von Ramzi Fawaz, in dem er Parallelen zwischen AIDS und dem Legacy Virus zieht, einem fiktiven Krankheitserreger aus den Comics, der nur für Mutanten gesundheitsschädlich ist. Die X-Men, so der Grundtenor, sind eine Metapher für die LGBTQIA+-Community (Manchmal auch für die Civil Rights Movement, aber das ist ein anderes Thema).
In einem Newsletter vom Februar habe ich auch darauf hingewiesen, wie die Hassprediger aus dem X-Men: God Loves, Men Kills-Comic von 1982 die homophobe Politik der christlichen Kirche widerspiegelt. Ich denke immer noch, dass diese Lesart eine Menge Sinn ergibt. Allerdings glaube ich auch, dass sie nicht mit tatsächlicher Repräsentation verwechselt werden darf. Gerade Marvel hat im Laufe seiner Publikationsgeschichte immer wieder gern Metaphern vorgeschoben, um sich kontroversen Themen sachte nähern zu können, ohne sich dabei angreifbar zu machen. Bis Ende der Achtzigerjahre war die Erwähnung von Homosexualität in Marvel- und DC-Comics verboten. Später befürchteten (und befürchten) die großen Verlage Verkaufseinbrüche, wenn sie zu offen mit queeren Figuren umgingen. Also versteckte man sich hinter Metaphern. TV tropes nennt das Ganze fantastic racism, „the old trick of dealing with thorny issues through metaphor“. Auf diese Art kann man den Leser*innen/Zuschauer*innen erklären wie schlecht es ist jemanden auf Grund seiner*ihrer Hautfarbe, Sexualität etc. nicht zu mögen. Wie tief Rassismus, Sexismus, Trans- und Homophobie aber tatsächlich in unserer Gesellschaft verankert ist, kann so vorerst ignoriert werden.
Ein guter Teilaspekt aus den X-Men-Comics der zeigt, dass Metaphern nicht ausreichen, ist die Beziehung von Mystique und Destiny aka Irene Adler (jup, die aus Sherlock Holmes, aber das wird kaum thematisiert und eigentlich haben sie auch keinerlei Ähnlichkeiten). Seit Destinys ersten Auftritten in den Achtzigerjahren ist eine homoerotische Spannung zwischen den beiden deutlich. „Destiny! Oh, my beloved friend, it is so good to see you“ sagt Mystique bei einem Wiedersehen in Avengers Annual #10 von 1981. „It gladdens my heart to hear your voice also“ entgegnet Irene. Tatsächlich ausgesprochen wird ihre Sexualität aber lange nicht. Stattdessen ruhte man sich auf dem politischen Subtext der Haupthandlung aus.
Es ist inzwischen ein offenes Geheimnis, dass Autor Chris Claremont ursprünglich plante, die Gestaltenwandlerin Mystique temporär ihre Geschlechtsorgane ändern zu lassen, um Destiny zu schwängern und mit ihr den Mutanten Nightcrawler großzuziehen. Der Vorschlag wurde vom Verlag abgelehnt. Irene Adler stirbt kurze Zeit später und bleibt auch für eine Weile tot. Stattdessen lässt sich Mystique mit Bösewicht Azazel ein, mit dem sie Nightcrawler zeugt. Dieses interne Gerangel ist besonders dann lächerlich wenn man bedenkt, dass sich Mystique in X-Men Unlimited #4 von 1994 in einen Mann verwandelt und ihren Sohn von einer Klippe wirft. Offenbar war Kindstötung weniger kontrovers als Homosexualität.
In einem Comic von 2019, das die Geschichte mancher Marvelheld*innen rückläufig erzählt sieht man Destiny und Mystique zum ersten mal küssen. 2021 wird Irene dann mitsamt einiger anderer Mutanten wiederbelebt. Offenbar sind wir endlich an einem Punkt angelangt, an dem nicht jede Queerness hinter Metaphern versteckt werden muss.
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