Wie politisch sind Superheld*innen?
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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„Why do you like the X-Men?“, hat @amazinnickanger gestern auf tiktok gefragt. „I‘m gay“, kommentierte jemand mit dem irritierenden Namen cthulhu_queef. Was auf den ersten Blick wie eine Troll-Antwort klingt, ist in diesem Kontext tatsächlich ein sinnvoller Beitrag. Die Comics zu den X-Men, einem fiktiven Team aus mutierten Individuen mit Superkräften, behandeln spätestens seit den Achtzigerjahren Diskriminierungserfahrungen, in denen sich viele queere Fans und BiPOCs wiederfinden. In X-Men: God Loves, Men Kills von 1982 macht ein Pfarrer Stimmung gegen sogenannte „Muties“. Mutanten seien ein Affront gegen Gott und ein Werk des Teufels, behauptet er. Die X-Men verbünden sich daraufhin mit ihrem Gegenspieler Magneto, um gegen diese Vorwürfe vorzugehen und gewinnen schließlich mit … guten Argumenten. Schon beim Erscheinen des Comics vor vierzig Jahren war offensichtlich, dass homophobe Hassreden hier Vorbild für die gefährliche Rhetorik des fanatischen Comicbösewichts waren. In den X-Men-Verfilmungen der Nullerjahre wurde diese Lesart dann noch deutlicher hervorgehoben. In Teil 1 macht sich ein Senator für die Registrierung aller Mutanten stark, später fragt eine Mutter ihren Sohn, ob er schon einmal versucht habe „kein Mutant zu sein“. Der zweite Film ist dann eine fast direkte Adaption von God Loves, Man Kills, wobei der Pfarrer durch einen zynischen Militär-Wissenschaftler ersetzt wurde.
Comics sind politisch. Darin besteht kein Zweifel. Captain America verprügelt Hitler in den Vierzigern, Luke Cage hebt 2004 Donald Trumps Limousine auf die anderen Straßenseite, weil der keinen Platz für ein Feuerwehrauto machen wollte, letztes Jahr änderte Superman sein Motto von „Truth, Justice, and the American Way“ zu „Truth, Justice and a Better Tomorrow“. Die Art und Weise wie in X-Men politische Themen aufgegriffen werden, ist allerdings selten. Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die meisten Probleme für Superheld*innen oft durch einen gezielten Schlag lösen.
Ich bin bei meinen Überlegungen noch nicht am Ende, aber ich denke, das hat unter anderem etwas mit dem in die klassische Heldensage eingebetteten Individualismus zu tun. Die sogenannte Superheld*innen Trinität Superman, Wonder Woman und Batman, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren entstanden sind, erzählen alle ähnliches: die Geschichte eines einzelnen Menschen (oder menschenähnlichen Aliens), der Hindernisse überwindet und sich schließlich entscheidet, für das Gute zu kämpfen. Was genau „das Gute“ ist, hat sich über die Jahre hinweg permanent verändert, aber die Erzählung ist gleich geblieben. Ausgangspunkt ist dabei immer der*die Held*in. Es mag einzelne Unterstützer*innen geben (Superman hat das Hologramm seines Vaters, Wonder Woman ihre Mutter, Batman seinen Butler), aber im Mittelpunkt steht immer das Individuum, das aus eigenen Kräften ein Problem in Monstergröße löst.
Politische Themen, wie sie bei X-Men behandelt werden, brauchen allerdings eine Auseinandersetzung mit „der Gesellschaft“. Klimawandel und Massenarmut lassen sich nur kollektiv lösen; mit systematischen Verbesserungen, die nicht nur von einem Individum ausgehen. Das hat allerdings keinen Platz in der Logik der Heldensage, wie sie Joseph Campbell in Hero‘s Journey beschrieben hat. Sicherlich ist Batmans Alter Ego Bruce Wayne Philanthrop und unterstützt seine Heimatstadt Gotham auch finanziell. Aber würde er die Kriminalität als ein strukturelles gesellschaftliches Problem begreifen, das nicht per se von einem Individuum ausgeht, das er nur ausreichend hauen muss, dann müsste er früher oder später darauf kommen, dass sein geerbter Reichtum teil einer tiefergehenden Ungerechtigkeit ist.
Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass kollektive Probleme zunehmend im Genre aufgegriffen werden. Allerdings braucht es dafür ein deutliches Umdenken des Held*innen-Stereotyps als einzelne Person, die sich aus eigener Kraft zum Guten wendet.
Andere Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
The Batman soll eine Fortsetzung bekommen.
Das Peacemaker-Finale hatte offensichtlich ein Cameo von Batman und Cyborg (von weit weg), was aber rausgeschnitten wurde.
Antman and the Wasp-Schauspielerin Evangeline Lilly outet sich ein weiteres mal als Impfgegnerin. Konsequenzen für ihre Marvel-Rolle sind nicht auszuschließen.
The Batman-Komponist Michael Giacchino veröffentlicht musikalisches Thema zu Cat Woman.
LEGO und andere Spielzeughersteller geben eine erste Vorstellung von Thor 4 (Spoiler!)
Trailer zu Constantine: The House of Mistery-Trickfilm
Spider-Man: No Way Home-Schauspieler haben am Set ein bekanntes Meme nachgestellt.
Unveröffentlichtes Material von Spider-Man: No Way Home als Promo für den Blu Ray-Release
Comics, Comics, Comics
Strange Academy #16
Ich mochte Strange Academy sofort als ich mit Heft #1 anfing. Mehrere Teenager lernen ihre Magie zu nutzen, damit sie nicht für sich und andere eine Gefahr werden. Schüler*innen sind unter anderem Shaylee Moonpeddle, Tochter einer Fee, und Toth, Sohn einer Kristallkrieger-Königin. Zu den Fächern gehören Inferno 101 und Heavenly History. Wer mit dem teils chaotischen Erzählstil zurechtkommt, erwartet eine spaßige Coming Of Age Geschichte mit Untoten, Pflanzenwesen und Artefakten.
Ghost Rider #1
Ghost Rider ist Anfang der Siebzigerjahre entstanden und liest sich auch genauso. Johnny Blaze verwandelt sich in ein brennendes, lederjackentragendes Skelett, er hat Dämonen in der direkten Verwandtschaft und fährt viel Motorrad. Die Figur schreit förmlich Pulp-Comicversion von Kultfilm Easy Rider. Das ist auch in dem aktuellen Semi-Reboot von Benjamin Percy und Cory Smith nicht anders. Geändert hat sich nur eines: Johnny Blaze ist in Therapie. Aber nicht für lange...
Silk #2
Peter Parkers/Spider-Mans 60. Jubiläum ist im August diesen Jahres (seinen ersten Auftritt hatte er 1962 in Amazing Fantasy #15). Ob das gefeiert wird, lässt sich noch nicht sagen, aber es würde die ganzen aktuellen Spider-Titel erklären. Im Januar erschien Silk #1 Vol.2, eine Comicreihe über einen vergleichsweise neuen Charakter. Die koreanisch-amerikanische Superheldin Cindy Moon rettet die Welt und arbeitet nebenbei als Journalistin für J. Jonah Jameson (der „Bring-Me-Pictures-Of-Spider-Man“-Typ aus der ersten Filmadaption mit Tobey Maguire). Die Figur ist, wie viele Teenager in den Comics, betont „jung“ geschrieben: Social Media und Handyaufnahmen werden einem dort praktisch ins Gesicht gerieben. Natürlich gibt es einige Identitätskrisen und Drama im Netz. Schnelllebiger Spaß und erstaunlich dynamisch.