Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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„No More Mutants.“ Mit einem Satz hat die Comicfigur Wanda Maximoff aka Scarlet Witch das Marvel-Universum Mitte der Nullerjahre langfristig und tiefgreifend verändert. Einer der Gründe hierfür: Eine wirre, über zwanzig Jahre erzählte Comic-Handlung über Wandas Kinder, die zwischenzeitlich in die Feuer spuckenden Fäuste eines ehemaligen Filmproduzenten verwandelt werden; aber dazu gleich mehr.
Angefangen hat es 1986 im finalen Heft von Vision and the Scarlet Witch. Aus damals unerklärlichen Gründen bekommen die unfruchtbare Magierin und der definitiv zeugungsunfähige Android Vision die Zwillinge Billy und Tommy. Die überraschende Geburt diente damals als Abschluss der Reihe. Scarlet Witchs Vater und Bösewicht Magneto, Wonder Man und andere sitzen auf dem Sofa und feiern gemeinsam das Wunder des Lebens; Happy End. Das hält allerdings nicht lange. Drei Jahre später, in West Coast Avengers #51, bekommen Wanda und Vision Besuch von der Hexe Agatha Harkness. Die erklärt ihnen, dass Billy und Tommy nicht wirklich existieren und sie nur eine Mischung aus Scarlet Witchs dringlichem Kinderwunsch und ein Stück der Seele des Teufels (jup!) am Leben hält. Weil das noch nicht absurd genug ist, werden sie kurz darauf von einer Gestalt mit Dämonen als Händen attackiert. Master Pandemonium hat seine Arme bei einem Autounfall verloren und sie im Tausch für seine Seele bei besagtem Teufel Mephisto gegen Feuer spuckende Monster ersetzt. In der Hoffnung, zumindest Teile dieser verlorenen Seele zurückzuerhalten, absorbiert er Billy und Tommy, die kurzerhand zu seinen neuen Händen werden. Als der creepy Babyfäuste-Mann dann besiegt ist, verschwinden auch die Zwillinge. Die Anwesenden entscheiden sich dafür, Wanda das Trauma zu ersparen und löschen Teile ihres Gedächtnisses.
Eine Rolle spielt das dann erst wieder in den Comics ab 2004, als Scarlet Witch sich durch einen Unfall an die Geschehnisse um ihre Kinder erinnert. Voller Wut beschwört sie Bösewichte und versucht die Realität zu manipulieren, um Billy und Tommy erneut zu manifestieren. Das, sowie der Konflikt mit den Avengern und ihrem Vater, mündet dann im weiteren Verlauf in eine von Wanda erschaffenen alternativen Realität, die mit dem anfangs erwähnten konsequenzreichen Worten „No More Mutants“ endet. Drei Wörter, die Wanda Maximoff zu der Comicfigur gemacht haben, an die ich als erstes denken musste, als ich über einen Newsletter über Mütter in Superheld*innen-Medien nachgedacht habe.
Sicherlich lässt sich das mit Wandas starker Präsenz in den letzten zwanzig Jahren in Comics und Filmen erklären. Allerdings sticht sie auch dadurch heraus, auf welche Art ihre Mutterschaft erzählt wird. Dass sie um die Existenz ihrer (echt oder nicht) Kinder kämpft, steht im Mittelpunkt eines langjährigen Haupthandlungsstrangs, der diese Universen deutlich geprägt hat und auch außerhalb ihres eigenen Umfelds einbezogen wird. Vergleicht man das mit anderen Darstellungen von Müttern im selben Rahmen, zeigt sich deutlich, wie selten das ist. Im Wesentlichen gibt es drei Formen von Müttern in Superheld*innen-Medien (von der schlimmsten zur noch okaysten): Women in Refrigerators, Mentorinnen und Action Moms.
Women in Refrigerators
Über ersteres habe ich hier bereits häufiger geschrieben. „Women in Refrigerators“ ist ein von Comicautorin Gail Simone geprägter Begriff, der weiblich gelesene Nebenfiguren bezeichnet, die sterben, um dem männlichen Protagonisten eine tragische Hintergrundgeschichte zu geben. Angelehnt ist die Bezeichnung an Green Lantern #54 aus den Neunzigerjahren, in dem Kyle Rayner nach Hause kommt und dort seine tote Freundin im Kühlschrank findet.
Als Batmans Mutter (und Vater) stirbt, bildet das den Grundstock seiner Motivation und Originstory. „I swear by the spirits of my parents to avenge their death by spending the rest of my life warring on all criminals“, ist der häufig wiederholte Satz, mit dem sich der junge Bruce Wayne dafür entscheidet, ein Cape anzuziehen. In einer inzwischen mehrfach als besonders schlecht verlachten Filmszene von 2013 beenden Superman und Batman in Dawn of Justice ihren Kampf, als sie bemerken, dass ihre Mütter beide Martha heißen. Agenda und Motivation der Mütter spielen dabei gar keine Rolle (schließlich ist eine von ihnen tot), nur die Handlungsweisen der zwei muskelbepackten Herren ist hier wichtig.
Mentorinnen
Ratgeber*innen und Tutor*innen waren nach Joseph Campells, Autor von The Hero With a Thousand Faces, schon immer ein wichtiger Bestandteil der Heldenreise-Handlung. Um die Held*innen zu Beginn ihrer Transformation zu unterstützen, gibt ihnen eine (oft ältere) Figur ein paar kluge Worte und manchmal sogar einen Gegenstand mit auf den Weg. In Superheld*innen-Medien sind das oft Väter oder Mütter. „Be their hero, Clark. Be their angel, be their monument, be anything they need you to be, or be none of it. You don't owe this world a thing. You never did“, erklärt Martha Kent (Supermans Martha, nicht Batmans Martha) ihrem Ziehsohn in Men of Steel. „This world is not yet ready for all that you will do“, warnt Wonder Womans Mutter Hippolyta sie zu Beginn von Wonder Woman.
Anders als Women in Refrigerators-Mütter haben Mentorinnen – weil sie noch leben – zumindest das Potential, eine eigene Motivation zu entwickelt. Wonder Womans Idee einer besseren Welt steht beispielsweise oft im Konflikt mit der Abschottungspolitik ihrer Mutter, die die Paradiesinsel der Amazonen gerne möglichst verstecken möchte. In Wonder Woman Vol 2 #90-99 hat Hippolyta Träume über den Tod ihrer Tochter und versucht sie aktiv davon abzuhalten, in die Rolle der Wonder Woman zu schlüpfen. Später übernimmt sie kurz selbst diese Aufgabe.
Action Moms
„The Action Mom […] keeps her role as savior of the day and the world while raising her children“, beschreibt das Wiki TV-Tropes diese Form der Mutterdarstellung. Ein Paradebeispiel dafür ist Elasticgirl aus dem Pixarfilm The Incredibles. Themen wie die Vereinbarkeit von Selbstverwirklichung und Kindern werden hierbei deutlich selbstverständlicher verhandelt als bei fiktionalen Vätern. In M.O.M Mother of Madness denkt die alleinerziehende Mutter Maya über das Patriarchat und ihren gewalttätigen Ex nach; lässt sich dadurch aber nicht davon abhalten, Bösewichte in einem Superheld*innenanzug zu verprügeln.
Diese Art der Präsentation von Mutterschaft hat oft eine ermächtigende und kathartische Wirkung, kann aber – wenn schlecht gemacht – auch durchaus problematisch sein, wenn daraus eine wenig hilfreiche „Moms are the real life superheroes of the world“-Muttertagskarten-Botschaft wird, die den Druck auf Mütter noch erhöht.
Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Die Writers Guild of America streikt geschlossen, was für Verschiebungen einiger Marvelprojekte, hervorragende Demonstrationsschilder und die beschissensten Takes von Superheld*innen-Fans (+grauenhafte AI-Art) auf Twitter gesorgt hat.
Guardians of the Galaxy Vol. 3 kommt in die deutschen Kinos.
Marvel und Insomniac publizieren am US-amerikanischen Free Comic Book Day ein Prequel-Comic zum dieses Jahr erscheinenden Marvel’s Spider-Man 2-Spiel. (Mehr unter Comictipps)
Gwenpool outet sich als erster offiziell asexueller Marvel-Charakter (Mehr unter den Comictipps)
Vermutlich letzter Trailer zu Spider-Man: Across the Spider-Verse.
James und Sean Gunn geben Wired-Interview, bei dem es auch viel um Marvel und James Rolle bei DC-Warner Bros geht.