Thanos ist nicht der russische Präsident
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Ende März erschien auf Übermedien ein sehr guter Text von Samira El Ouassil über die „Marvelisierung“ des Russland-Ukraine-Kriegs. Im Internet lassen sich zahlreiche Memes finden, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Captain America und Wladimir Putin als Thanos darstellen. In einem Tweet erwähnt User @JarvisGoogoo Selenskyj außerdem, dass Selenskyj in einem möglichen Film von Hawkeye-Darsteller Jeremy Renner gespielt werden könnte. „Die Wirklichkeit bietet keine konsistenten und/oder ikonischen Narrative“, schreibt El Ouassil und fasst damit sehr gut in Worte, warum ich mich jedes Mal sehr unwohl fühle, wenn ich auf diese popkulturellen Kriegsmemes stoße. Hier wird eine komplexe Situation, die in diesem Moment unzählige Menschen betrifft, mithilfe von nostalgisch aufgeladenen Bildern trivialisiert; teilweise sogar mit einem falschen Ergebnis. Thanos will in den Filmen die Bevölkerung des Universums halbieren. Ein Vergleich mit der aktuellen Situation ist nicht vereinfachend, sie ergibt überhaupt keinen Sinn. Kurz nach dem Kriegsbeginn twitterte der US-amerikanische Wrestler John Cena, der aktuell die Hauptrolle in der Superheld*innen-Serie Peacemaker spielt, folgendes:
Ich weiß, dass Cena seit Beginn der Dreharbeiten auch bei öffentlichen Auftritten versucht in seiner Rolle als egomanischer Narzisst mit starker Tendenz zur toxischen Männlichkeit zu bleiben, aber beim Lesen des Tweets stellten sich mir die Nackenhaare auf. Ich verstehe das Bedürfnis nach Narrativierung sehr gut. In einem Text für 54books schrieb ich darüber, wie Superheld*innen-Geschichten Ermächtigungsfantasien in Zeiten von Ohnmacht sein können. Allerdings ist Peacemaker eine durch und durch ambivalente Figur, die, wie er selbst im The Suicide Squad-Film sagt, für Frieden „Kinder und Männer“ töten würde. Der Tweet passt demnach zum Charakter, bedient aber auch faschistoide Vorstellungen der Fans, die das Superheld*innen-Genre ohnehin eher wegen teils veraltetet Männlichkeitsbilder feiern.
Im Vergleich unproblematisch hat sich ich dagegen für mich die Comicadaption Wonder Woman von 2017 angefühlt. Dort kämpft die gleichnamige Superheldin erst gegen deutsche Soldaten im ersten Weltkrieg und dann gegen den griechischen Kriegsgott, der den Konflikt provoziert hat. Der Film gibt sich sichtlich Mühe das ohnehin schon länger zurückliegende historische Ereignis zu abstrahieren: Amazonen, groteske Masken, teils sehr bunte Farbtöne. Es wird deutlich gemacht, dass es sich um die Comicversion dieses Krieges handelt und eine „realistische“ Darstellung (was auch immer das heißt) nicht beabsichtigt ist.
Vermutlich müssen wir nicht alle Darstellungen von Krieg in Superheld*innen-Medien vermeiden. Das Cover von Captain America #1 von 1941, auf dem er Hitler niederschlägt, mag damals auf eine Art Propaganda gewesen sein, ist aber aus heutiger Sicht unbedenklich. Allerdings erscheint die Trennlinie zwischen erhellender Vereinfachung von geopolitischen Situationen und geschmacklosen Trivialisierungen sehr dünn. Das gilt besonders dann, wenn der Krieg gerade passiert und Menschen unmittelbar davon betroffen sind. Ich nehme an, wenige wünschen sich darüber zu lesen, wie eine nicht existierende Comicfigur ihre sehr reale existentielle Lage aktuell verbessern könnte.
Andere Superheld*innen-Nachrichten in den letzten Wochen:
Morbius bekommt sehr schlechte Rezensionen, spielt ein vergleichsweise mittelmäßiges Ergebnis ein und wird zum Meme.
Brasilianischer Chris Hemsworth-Fancccount spoilert neues Thor-Design anhand von Popcorn-Bechern
Morbius-Darsteller Jared Leto gibt der virtuellen Youtuberin Fubuki Shirakami ein äußerst merkwürdiges Interview
Die von trans Schauspieler Elliot Page gespielte Figur in Umbrella Academy wird in der dritten Staffel ebenfalls ein trans Mann sein.
Neue Moon Knight-Actionfigur von Hot Toys
Webtoon baut ihre Zusammenarbeit mit DC weiter aus.
Fan Theory & Spoilerzone
Hier ist der Ort für Fan-Theorien, was teilweise recht spoilery werden kann. Wer nichts vorweggenommen haben möchte und/oder nicht auf dem neusten Stand mit seiner*ihrer aktuellen Superheld*innenserie oder -film ist, der*die möge bitte nicht weiterscrollen.
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Moon Knights neuste Episode scheint ein paar Menschen zu verärgern. Die Szene, in der Steven Grant von einem Gebäude fällt und in einem Dreiteiler mit Krawatte aufkommt, hat gestern für einiges an Diskussion unter Comicfans gesorgt, die ein wenig Kontext bedarf.
Wie Zuschauer*innen schon in der ersten Folge erfahren haben, leidet Moon Knight unter einer dissoziativen Identitätsstörung; auch als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt. Zu seinen unterschiedlichen Persönlichkeiten gehören in den Comics der Auftragsmörder Marc Spector, der Taxifahrer Jake Lockley und der Millionär Steven Grant. Letzteres haben die Macher der Serie für ihre Adaption offensichtlich geändert. Man spekuliert, dass Marvel Studios Vergleiche mit Batman vermeiden wollte und deswegen Grant zu einem britischen Museumsmitarbeiter umgeschrieben hat.
Als Marc Spector trägt Moon Knight meistens die Superheld*innenuniform, die wir am Ende der ersten Folge gesehen haben. Gelegentlich aber, wenn er seriös wirken möchte, zieht er sich seinen strahlend weißen Anzug an und tritt als Mr. Knight auf. Zum ersten Mal konnte man das in Warren Ellis‘ und Declan Shalveys Moon Knight-Reihe sehen, in der Marc schick angezogen an einem Tatort erscheint und sich mit den zuständigen Polizisten unterhält (auch hier würde sich ein Vergleich mit Batman anbieten). In der aktuellen Comicserie von Jed MacKay und Alessandro Capuccio hat Mr. Knight eine Art Anlaufstelle für Hilfesuchende eröffnet und nimmt dort paranormale Aufträge an.
Dass die Serienmacher*innen Steven Grant den Anzug von Mr. Knight zugeschrieben haben, verärgert nun manche. Teilweise weil das Promo-Plakat einen eleganten sexy Charakter versprochen hat und wir einen verwirrten, etwas schusseligen bekommen haben, teilweise weil der ungeschickte, nerdy Steven nicht ins Männlichkeitsbild mancher Fans passt. „What the f*ck did Disney+ do to Mr. Knight“ schrieb jemand. „Mr Knight brought the episode down so hard. I have no idea what on Earth they were thinking. Everything else was great.“ ein anderer. Manche behaupteten sogar, die Figur wäre ein Deadpool-Abklatsch, was vor dem Hintergrund, dass Marvel sehr viel Energie darauf verwendet hat, Batman-Vergleiche zu vermeiden, wirklich sehr lustig ist. Ich persönlich sehe das Ganze genauso wie die Tiktokerin @victoriaorgana: „If the dudebros hate it, I’m a have it“