Superheld*innen, die unter psychischen Krankheiten leiden: alle
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Folge fünf der Marvel-Serie Moon Knight ist eingeschlagen wie eine Bombe. Ohne allzu viel verraten zu wollen: Wenn man auf den Twitterhashtag #MoonKnightEp5 klickt, gehört der weinende Smiley und das gebrochene Herz zu den meist verwendeten Emojis. Es gibt viel Austausch über Traumaerfahrungen und dissoziative Identitätsstörung, die Krankheit unter der der Moon-Knight-Protagonist leidet. Allgemein scheint die Meinung vorzuherrschen, Marvel und diese Serie insbesondere hätte Mental Health als Thema in den Mittelpunkt gerückt. Die neusten Produktionen des Studios könne man mit „What If: Trauma” zusammenfassen, schreibt jemand auf Twitter. Ich habe mich auch zu einem „Marvel be like: You get a trauma response and you get a trauma response”-Witz hinreißen lassen.
Tatsächlich sind Trauma und der Umgang damit schon immer ein entscheidender Anteil des Superheld*innen-Genres gewesen. Supermans Heimatplanet samt seinen Eltern explodiert, Batmans Eltern werden erschossen und Spider-Mans Onkel stirbt in dessen Armen. In meinem Newsletter über Originstories habe ich schon einmal Robin Rosenberg erwähnt; Autorin von Psychology of Superheroes: An Unauthorized Exploration. Ihr zufolge ist Trauma in Superheld*innen-Medien ein so häufig verwendetes Erzähltool, weil es zwei Zwecke erfüllt: Relatability und Purpose. Wir haben Mitgefühl mit Superheld*innen, weil sie ihnen nahe stehende Menschen verloren haben, ein intensiv emotionaler Einschnitt im Leben, den wir so oder in einer abgeschwächten Form oft auch schon einmal verspürt haben. Gleichzeitig ist in Batmans Fall das Trauma auch die Grundlage für den weiteren Verlauf der Geschichte. “I swear by the spirits of my parents to avenge their deaths by spending the rest of my life warring on all criminals”, schwört der junge Bruce Wayne kurz nachdem seine Eltern erschossen wurden.
Wie viele andere Comicnewsseiten auch, hat CBR eine Liste mit 10 Marvel-Superheld*innen gemacht, die unter psychischen Problemen leiden. Erwähnt werden unter anderem Daredevils Depression, Jessica Jones posttraumatische Belastungsstörung und Deadpools Psychose (Als hätte irgendwer daran gezweifelt, dass es den dreien auf die ein oder andere Weise nicht gut geht). Spannender wäre es wohl gewesen, welche Superheld*innen geistig vollkommen gesund sind. Denn früher oder später hat jeder und jede von ihnen eine tragische Hintergrundgeschichte bekommen, die ihnen viele Jahre später noch Probleme bereitet.
Selbst dissoziative Identitätsstörung, die vergleichsweise selten auftritt scheint unter Superheld*innen nicht unüblich. Vor Moon Knight thematisierte Legion, eine Serie über Professor Xaviers gleichnamigen Sohn, die Krankheit. Jane in Doom Patrol leidet ebenfalls darunter. Selbst bei The Incredible Hulk könnte man von einem dissoziativen Verhältnis zwischen Bruce Banner und seinem grünen Alter Ego sprechen.
Angesichts dessen, was Superheld*innen im Marvel Cinematic Universe so alles erlebt haben (intergalaktische Kriege, Verlust von Freunden und Familie, häusliche Gewalt) sollte es eigentlich nicht verwundern, dass soviel psychische Erkrankungen zum Thema mancher Erzählungen geworden sind. Das bedeutet einfach, dass wir mittlerweile an einem Punkt angekommen sind, wo den einzelnen Charakteren die notwendige Tiefe gegeben werden kann, ohne dass es aufgesetzt oder plötzlich wirkt.
Andere Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Fortsetzung für The Batman nun offiziell
Raising Dion bekommt keine dritte Staffel
Marvel Studio-Chef verkündet diese Woche, an einem weiteren Zehnjahresplan zu arbeiten.
Gerüchten zufolge tritt Netflix’ Daredevil in der neuen Disney+-Serie Echo auf.
Ein weiterer Clip zu Doctor Strange in the Multiverse of Madness
Superheld*innen im Netz
Der Guardian berichtete diese Woche, dass sich Disney/Marvel auf Nachfrage eines saudiarabischen Gesetzgebers weigerte zwölf Sekunden aus Doctor Strange in the Multiverse of Madness zu streichen. Bei der besagten Szene geht es darum, das America Chavez von ihren zwei Müttern spricht. Offiziell verboten wurde der Film bisher nicht, aber eine ähnliche Forderung gab es beim schwulen Kuss in Eternals, bei dem Saudi Arabien die Ausstrahlung am Ende unterbunden hatte, weil die Kürzungen nicht gemacht wurden.
Und während manche die Verweigerung von Disney als gute Tat verbuchen, hat die Nachricht bei manchen für Ärgernis gesorgt. Nicht wegen der Erwähnung von Chavez Müttern, sondern weil der Film offenbar nur zwölf Sekunden queere Repräsentation beinhaltet. America Chavez ist in den Comics selbst lesbisch und der im Trailer sehr sichtbare Pride-Button auf ihrer Jeansjacke und die zugehörige LEGO-Figur hatte einigen Hoffnung auf mehr gegeben.
Im Film ist sie nun dreizehn und sich offenbar noch nicht ihrer Sexualität bewusst. Man kann nur darüber spekulieren, ob die Marvel Cinematic Universe-Version absichtlich jünger gemacht wurde, um sich nicht noch mehr mit homophoben Gesetzgebern auseinandersetzen zu müssen.
Comics, Comics, Comics
Justice League #75
Wie hier schon häufiger festgestellt: Comics, in denen Superheld*innen sterben, verkaufen sich gut. Was macht man also, um den Umsatz zu erhöhen? Ein Massaker. Comicläden berichten schon jetzt, dass sie Justice League #75 aka Death of the Justice League nachbestellen müssen, weil sie nicht mit der Nachfrage gerechnet haben. Ohne zu viel zu spoilern: Es werden ein paar wichtige Charaktere sterben und das DC-Universum vermutlich in Teilen neugestartet. Man darf hoffen, dass es bald eine gute Möglichkeit für Interessierte geben wird, einzusteigen.
Aquamen #3
DC scheint aktuell in einer Mehrzahl-Ära zu sein. Batgirls vereint alle Figuren, die einmal unter dem Namen Batgirl aufgetreten sind. Robins macht das gleiche mit allen Adoptivsöhnen von Batman. In Aquamen kämpfen nun der original Aquaman Arthur Curry und sein Nachfolger Jackson Hyde zusammen. Dabei bekommen sie Unterstützung von Arthurs ehemaligem Erzfeind und Jacksons leiblichem Vater Black Manta.
Amazing Spider-Man #1
Für Spider-Mans sechzigsten Geburtstag kehrt diese neue Reihe zu ihren Wurzeln zurück: Ein überforderter, aber unterbezahlter Peter Parker, der unter einem bisher nicht näher benannten traumatischem Erlebnis leidet und dem niemand glaubt oder helfen möchte. Spider-Man-Fans die sich am ehesten mit Peter Parker identifizieren, wenn er am Boden ist, kommen hier defintiv auf ihre Kosten.