Streik, Stars und der Superheld*innendiskurs
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Zwei Themen beschäftigen mich aktuell besonders: Popkultur und mit gewerkschaftlich organisiertem Streik geführter Klassenkampf. Über Letzteres hatte ich in diesem Newsletter bisher nur selten die Möglichkeit zu schreiben. Das hat sich jetzt geändert.
Mit großer Freude habe ich beobachtet wie erst die Writers Guild of America (die US-amerikanische Gewerkschaft der Drehbuchautor*innen) und seit Kurzem die Screen Actors Guild of America (die entsprechende Gewerkschaft der Schauspieler*innen) in Hollywood zum Streik aufgerufen haben. Vor wenigen Tagen wurde dann auch über Bestrebungen von Mitarbeiter*innen bei Warner Bros. Animation und Cartoon Network berichtet, die sich mithilfe der Animation Guild organisieren möchten. Und zu guter Letzt gibt es seit Kurzem eine Gewerkschaft aus Angestellten der queeren Dating App Grindr.
Um zumindest kurz die Situation der Writers Guild WGA und der Screen Actors Guild SAG näher zu erklären: Beide Gewerkschaften sind momentan in Verhandlung mit der AMPTP - der Alliance of Motion Picture and Television Producers. AMPTP vertritt in Tarifverhandlungen etwa 350 Medienunternehmen. Dazu gehören unter anderem Warner Bros., NBC, Walt Disney Studios, Netflix, Apple TV+ und Amazon. Die WGA und SAG fordern unter anderem einen höheren Mindestlohn, mehr Gewinnbeteiligung an erneuten Austrahlungen (insbesondere bezogen auf Streamingdienste) und einen klar festgeschriebenen Umgang mit Künstlicher Intelligenz, der menschliche Erzeugnisse und das Recht am eigenen Bild schützt. Nichts davon scheint die AMPTP akzeptiert zu haben, weswegen die Gewerkschaften jetzt streiken.
Was sich für manche vielleicht nach trockenen Informationen anhört, ist eine Ansammlung von unglaublich absurden und spannenden Vorgängen. Vor wenigen Tagen ließ NBC Universal Bäume zurückschneiden, die Streikenden vor dem Studio als Schatten dienten. Da offenbar niemand im Unternehmen eine Erlaubnis für das Beschneiden der Bäume hatte, gab es offizielle Beschwerden und NBC sah sich gezwungen, Zelte aufzustellen, um weitere rechtliche Schritte seitens der Gewerkschaften zu vermeiden. Als ein Studio Manager verkündete, sie würden die Verhandlungen hinauszögern bis Arbeitnehmer*innen nicht mehr ihre Miete zahlen können, lässt sich Hellboy-Schauspieler Ron Perlmann in einem inzwischen gelöschten Instagram-Video zum Satz „There’s lotta ways to lose a house, motherfucker“ hinreißen. Er hat seine Aussage inzwischen zumindest teilweise wieder zurückgezogen, was aber niemanden davon abgehalten hat, den Satz massenweise auf T-Shirts zu drucken. SAG reagierte derweil auf ihre Art, indem sie ein vollständiges Verhandlungsprotokoll mit der AMPTP veröffentlichten. Ebenfalls fassungslos haben einige Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen in ein Interview mit Disney-CEO Bob Iger dabei zugehört, wie er behauptete, die Forderungen von SAG und der WGA seien unrealistisch. Der Unternehmer verdient jährlich bis zu 27 Millionen Dollar. Autor Cody Ziglar postete als Reaktion darauf seine bisherige Gewinnbeteiligung einer Folge She-Hulk: 369 Dollar.
Für viele Konsument*innen von Superheld*innen-Filmen und -Serien wird der Streik vorerst unbemerkt bleiben. Projekte, die für dieses Jahr angekündigt wurden, sind bereits abgedreht und kommen voraussichtlich pünktlich in die Kinos. Tatsächliche Konsequenzen haben die Verhandlungen erst ab nächstem Jahr. Disney und Warner Bros haben einige Marvel- und DCEU-Filme um ein halbes bis ganzes Jahr nach hinten geschoben. Indieproduktionen von Studios wie A24 (Everything Everywhere All At Once) sind vom Streik nicht betroffen. Unmittelbare Auswirkungen hat das Ganze - außerhalb der betroffenen Autor*innen und Schauspieler*innen – eigentlich nur auf eine Gruppe von Menschen: Kommentator*innen.
Influencer*innen und Journalist*innen wurden in den letzten Wochen teils ungewollt zum Mittelpunkt eines gewerkschaftlichen Diskurses. Als Tiktoker und „movie guy“ Straw_Hat_Goofy sich in einem Video dazu äußert, dass seine Arbeit „sehr wenig“ vom Streik betroffen sein wird, weil a) er nicht Teil der Gewerkschaften ist und b) seine Auseinandersetzung mit Filmen sich nicht mit der Arbeit von SAG- und WGA-Mitglieder*innen überschneidet, reagierten einige empört und andere irritiert. Jedes seiner aktuellen Videos ist voll mit Menschen, die ihn in den Kommentaren als Streikbrecher („scab“) beschimpfen. Viele wiesen darauf hin, dass a) Influencer und Content-Creator tatsächlich Teil der SAG sein können und b) Filmstudios vor allem dann auf Menschen wie Straw_Hat_Goofy zugehen werden, wenn die Schauspieler*innen wegen des Streiks keine Filmpromos mehr machen. Er hat sich inzwischen für sein Verhalten entschuldigt und konzentriert sich aktuell auf Inhalte, die nicht bestreikt werden oder zumindest schon etwas älter sind. Und dabei ist er nicht der einzige: Viele meiner Lieblingstiktoker*innen wie @maceahwindu und @jstoobs sprechen derzeit entweder über die Streiksituation oder darüber wie sie es vermeiden wollen bestreikte Filme zu bewerben. Es scheint sich in diesem Rahmen ein neues Videoformat herauszubilden, in denen Influencer groß darauf hinweisen wie sie Angebote von Studios abgelehnt haben. Der Konsens ist momentan: Wenn du keine Lust hast langatmige Entschuldigungsvideos aufzunehmen, dann promote keine neuen Filme; weder bezahlt noch unbezahlt. (Ausgenommen sind davon Verträge, die vor dem Streik abgeschlossen wurden und jetzt erfüllt werden müssen. Vulture hat dazu auf der Basis von offiziellen Stellungnahmen von SAG ein recht verständliches FAQ erstellt.)
Ich wurde bei meiner Arbeit für diesen Newsletter bisher noch nie von einem Studio oder einem Verlag dafür bezahlt, dass ich über etwas schreibe. Wenn ich das tue, dann weil ich es selbst spannend finde und weil ich dabei für meine journalistische Tätigkeit und Recherche finanziell kompensiert werde (unter anderem von euch <3). Dennoch möchte ich nicht das Gefühl haben, einen Streik, der internationale Auswirkungen hat und transnational geführt werden sollte, zu unterwandern. In meinem Newsletter schreibe ich deshalb vorerst mehr über Comics, Games und Diskurse. Über Filme und Serien findet ihr sicher genug Informationen an anderen Stellen. Ich verfolge weiterhin die Streikdebatte und denke darüber nach, wie ich zukünftig damit umgehen möchte.
Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Nach anfänglichen Copyright-Schwierigkeiten hat der Film The People’s Joker - eine trans Coming-of-Age-Geschichte mit vielen Referenzen an Batmanfiguren - nun ein offizielles Releasedatum.
Marvel Games und EA kündigen neues Black-Panther-Spiel an.
Illustrator Bruno Redondo erhält auf dem San Diego Comic Con den Eisner Award als bester Cover Artist des Jahres.
Sowohl Omni-Man als auch Homelander und Peacemaker werden bei Mortal Combat 1 spielbar sein.
Markus Söder macht über Tiktok (erschreckenderweise) weiterhin Eigenwerbung mit Marvel-Filtern.
Neuer Trailer zu Marvel’s Spider-Man 2 sowie eine Ankündigung für eine entsprechend gestaltete PS5
Warner Bros Discovery lässt mit CGI tote Schauspieler in The Flash auftreten, was die Debatte über die ethische Verwendung der Technik erneut anfeuert.
Es gibt offenbar The Boys-Skins für Call of Duty Modern Warfare und Menschen sind nicht glücklich darüber.
Twitteruser @NebGoodTakes erstellt fake Bilder von einem angeblichen Blue Beetle-Burger.
Tiktokerin FantasticFrankey spricht über „Killmonger-Effect“