Harley Quinn und die Erfindung von Batmans Stimme
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Wie viele von euch vielleicht schon gehört haben: Arleen Sorkin ist letzte Woche im Alter von 67 an den Folgen von multipler Sklerose verstorben. Die Schauspielerin und Synchronsprecherin war vor allem als die Stimme von und Inspiration für Harley Quinn aus der Batman-Zeichentrickserie und vielen Computerspielen bekannt. Der ehemalige Sidekick von Joker und aktuell eine der vermutlich bekanntesten queeren Comicfiguren der Welt ist nicht nur Sorkins einflussreichste Rolle, sondern auch ihre letzte. 2011 sprach sie Harleen Quinzel ein letztes Mal im Free-to-Play-Game DC Universe Online.
Über die Person Arleen Sorkin ließe sich so viel erzählen. Dass sie mal das Drehbuch für einen Jennifer Aniston-Film geschrieben hat oder ihre merkwürdige Diskriminierungsklage auf der Grundlage ihrer Hautfarbe (Sorkin ist „weiß“). Aber ich bin sicher, darüber gibt es an anderer Stelle schon genug. Stattdessen wollte ich über ein Thema schreiben, über das ich schon eine Weile nachdenke: die Stimmen von Comicfiguren, wie sie zu einem entscheidenden Teil von Superheld*innenkultur geworden sind und was die Batman-Zeichentrickserie aus den Neunzigerjahren damit zu tun hat.
Wenn ich mich nicht verzählt habe, gibt es um die 25 Schauspieler, die den Joker gespielt haben, aber wenn ich ein DC-Comic aufschlage und Dialogzeilen von dem „Clown Prince of Crime“ lese, höre ich in meinem Kopf nur eine Stimme. Mark Hamill, den die meisten vermutlich als Luke Skywalker aus Star Wars kennen, hat nach dem riesigen Erfolg der Sci-Fi-Saga einen riskanten Karriereschritt gemacht und den Sender Fox so oft gebeten, die Synchronsprecherrolle des Jokers in der Zeichentrickserie von 1992 übernehmen zu dürfen, dass sie ihn irgendwann gelassen haben. Ursprünglich war Rocky Horror Picture Show-Hauptdarsteller Tim Curry dafür vorgesehen. Hamills Performance war bei weitem nicht die erste, aber dermaßen eindrucksvoll, dass ihr Einfluss bis heute zu spüren ist. Er griff damals auf, was Jack Nicholson im Batman-Spielfilm von 1989 vorgab, und mischte es nach eigenen Angaben mit seiner Imitation von Claude Rains in The Invisible Man. Rausgekommen ist eine künstlich akzentuierte, melodische und bedrohliche Stimme, die ich für immer mit der Figur assoziieren werde. Selbst wenn die Joker-Schauspieler Heath Ledger, Jared Leto und Joaquin Phoenix alle etwas eigenes beigetragen haben, klingt Hamill in jeder Version durch.
Wie sehr man als Synchronsprecher noch Jahrzehnte später wortwörtlich den Ton angeben kann, lässt sich anhand von Arleen Sorkins Arbeit sogar noch deutlicher erkennen. Als sie einem ihrer Uni-Freunde, dem Drehbuchautor Paul Dini, eine Serien-Szene zeigte, in der sie im Rahmen einer Traumsequenz einen Clown spielt, erfand dieser ausgehend davon eine neue Figur: Harleen Quinzel aka Harley Quinn. Zusammen mit Batman – The Animated Series-Showrunner Bruce Timm schrieben sie den Charakter erst als namenlosen Sidekick für den Joker und später als eigenständige Figur, die schon in den Neunzigerjahren eine deutlich queergecodete Beziehung mit Poison Ivy führte (Mark Hamill beschreibt es als „Thelma & Louise“-Situation). Harley Quinn war von Beginn an dermaßen mit Sorkin verknüpft, dass eigentlich nur sie in Frage für die Synchronsprecherinnenrolle kam. Hierbei konnte die Schauspielerin all die Aspekte ihrer Stimme betonen, die sie in ihren sonstigen Sitcom-Rollen verbergen musste. Arleen und Harleen sind beide aus Brooklyn und stammen aus jüdischen Familien. Und das hört man auch deutlich. Als Schauspielerin Tara Strong den Job später übernahm, übernahm sie auch Sorkins Brooklyn-Akzent und jiddische Einflüsse. In der aktuellen Serie Harley Quinn ist davon leider nicht mehr viel zu hören. Geblieben ist aber die hohe Stimmlage und quirlige, aufgeregte Art der Figur, die deutlich auf Sorkin zurückzuführen ist.
Eine Voice-Acting-Performance habe ich bisher nicht genannt, möchte sie aber definitiv nicht unerwähnt lassen. Der letztes Jahr verstorbene Schauspieler Kevin Conroy stand 1992 vor einer ähnlichen Aufgabe wie Mark Hamill. Als die Stimme von Batman musste er sowohl Michael Keatons Performance in Batman (1989) aufgreifen als auch einen eigenen Klang kreieren. Das Ergebnis ist eine fast schon parodistische Version eines Radiosprechers aus den Vierzigerjahren: überbetont, ernst, tief, hypermaskulin. Wenn Will Arnett in LEGO Batman Movie oder Troy Baker in den LEGO Batman-Spielen Batman spricht, dann schwingt dabei sehr viel Kevin Conroy mit. Conroy hat seine herausfordernden Erfahrungen als schwuler Schauspieler in den Achtzigern und seine Identifikation mit dem Superhelden in dem sehr berührenden kurzen Comic Finding Batman zusammengefasst. Ich lege es allen sehr ans Herz.
Es gibt einige Beispiele für Synchronsprecher*innen und Schauspieler*innen, die die Tonlage und Akzente einer fiktiven Figur für spätere Generationen vorgegeben haben. (Wir werden vermutlich für eine ganze Weile keine Version von Iron Man mehr sehen, die nicht ein wenig klingt wie Robert Downey Jr.). Hamill, Sorkin und Conroy haben mit der Batman-Zeichentrickserie allerdings einen Zeitpunkt erwischt, in dem Fernsehen, Film und Computerspiele das Medium Comic als primären Ort abgelöst haben, an dem Superheld*innengeschichten erzählt werden. Oft mussten sie sich die Frage stellen: Wie könnte die Stimme dieser Figur klingen? Dass sie dabei alle drei so unglaublich talentiert waren, hat vermutlich auch geholfen.
Superheld*innen-Nachrichten diese Woche:
Schauspielerin (und seit neustem Comicautorin) Iman Vellani gibt polygon ein Interview über ihre Liebe zu bestimmten Marvel-Charakteren und ihrer Erfahrung als neue Co-Autorin von Ms Marvel. The New Mutant.
Ein Großteil der VFX-Mitarbeiter*innen bei Disney hat sich für eine gewerkschaftliche Organisierung ausgesprochen.
Ein Feature von der Flash-Blueray über die Figur Supergirl lässt sich vollständig auf Youtube sehen.
US-Gericht entscheidet erneut darüber, dass AI-generierte Kunst nicht urheberrechtsgeschützt werden kann.
Comicautor, Comicsgate-Mitbegründer und allgemein unangenehmer Mensch Ethan Van Sciver ist von Twitter geflogen und einige sind recht froh darüber.
Mortal Kombat-Entwickler Ed Boon versichert, dass sich die Figuren Omni-Man (aus Invincible) und Homelander (aus The Boys) sehr unterschiedlich spielen lassen werden. Beide Charaktere gelten als böse Versionen von Superman.
Ein Autor der Comic-Newsseite CBR veröffentlicht merkwürdigen Artikel über seinen Kleinkrieg mit Comictwitter. Mehrere weisen auf den stetigen Qualitätsverlust und mangelnde Qualitätskontrolle seit dem Aufkauf von Valnet 2016 hin. Der Artikel ist nicht mehr zu finden.