Die Neunziger haben den Anti-Helden versaut
Willkommen bei Fan Theory of Everything, einem Newsletter über die aktuelle Woche in Superheld*innendebatten, -gossip und Comics. Mal funny-haha, mal funny-merkwürdig, mal beides. Es ist ein Versuch, eine Schneise durch das dicht verflochtene Gestrüpp zu schlagen, das über 90 Jahre Superheld*innengeschichte hervorgebracht haben.
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Manchmal wird man doch überrascht. Nach etlichen Jahren, in denen ich mich mit Superheld*innen und dem Fandom beschäftige, war ein „Ich hab mit meiner Freundin Schluss gemacht, weil sie einem rassistischen Superhelden zugestimmt hat“-Redditpost definitiv nicht auf meiner Bingokarte. Ohne zu viel spoilern zu wollen: In einer neueren Folge der Amazonserie The Boys muss sich Superheld Blue Hawk im Rahmen einer Pressekonferenz offiziell zu Rassismusvorwürfen äußern. Das Ganze artet aus, als er behauptet Schwarze Menschen seien für die meisten Morde verantwortlich. „Black Lives Matter“, ruft jemand im Publikum. „Supes lives matter“, entgegnet Blue Hawk, kurz bevor er ironischerweise um sich schlägt und mehrere tödlich verletzt.
Die Szene ist offensichtlich eine nicht sonderlich subtile Satire auf die US-amerikanische Rechte und ihr „Blue Lives Matter“-Motto (Polizistenleben zählen), das aus einer konservativen Gegenbewegung zu „Black Lives Matter“ entstanden ist. Aber wenn uns die dritte Staffel von The Boys seit ihrer Ausstrahlung Anfang Juni eines gelehrt hat: Satire wird oft nicht erkannt, auch wenn sie wirklich penetrant ins Gesicht der Zuschauer*innen gerieben wird. „Was really liking Blue Hawk until the end of his speech“, schreibt jemand im selben The Boys-Subreddit. Der Account ist inzwischen gelöscht. Letzten Sonntag bezeichnete Twitter-Nutzer @boy_w0nder Homelander, den sozialdarwinistisch-faschistischen Hauptbösewicht der Serie, als „relatable Superman“ und tritt dabei eine ordentliche Debatte los. Homelander sei kein Villain, sondern ein Anti-Held, war der Tenor unter einem Marketingpost vom offiziellen The Boys-Account. Dafür, dass sich die Serie große Mühe gibt, die Gegenspieler*innen so widerlich darzustellen wie möglich, haben diese Figuren erstaunlich viele Fans.
Zu tun hat das, glaube ich, unter anderem mit dem Anti-Held-Hype der Neunzigerjahre, der den Archetypen ein wenig umgedeutet hat und der Tatsache, dass uns genau diese Art von Figuren Jahrzehnte lang als Sympathieträger verkauft wurden. 1991 erscheint Bret Easton Ellis‘ Roman American Psycho über Yuppie-Serienmörder Patrick Bateman, der tötet, um etwas zu spüren. 1993 spielt Michael Douglas in Falling Down einen Mann, der ausrastet, weil seine Cola mehr kostet als früher und er im Stau steht. Er kauft daraufhin Waffen und zieht wütend durch Los Angeles. Fightclub von 1999 handelt ebenfalls von einem emotional geplagten Protagonisten, der eine Untergrund-Boxgruppe gründet, um seiner inneren Leere entgegenzuwirken. All diese Figuren wurden offensichtlich als Gegenentwurf zum klassischen Good Guy entworfen, der damals vielen langweilig und überzeichnet vorkam. Menschen sind fehlerhaft, Do-Gooders sind dementsprechend unrealistisch und deswegen uninteressant, war (und ist) eine vorherrschende Meinung. Clark Kent aka Superman, das Paradebeispiel für den idealistische Helden-Archetypen, wurde in den Comics 1993 umgebracht, und in Reign of the Superman kurzweilig durch unterschiedliche andere Versionen des Charakters ersetzt. Einer der Nachfolger trägt eine Lederjacke und küsst eine Frau ohne ihre Zustimmung, nach dem er sie gerettet hat. Zu dem Zeitpunkt waren sexuelle Übergriffe offenbar klassisches Bad Boy-Verhalten.
Garth Ennis, Autor der The Boys-Comics, auf denen die oben genannte Serie beruht, ist ganz deutlich ein Produkt der Achtziger und Neunziger. Als seine Haupteinflüsse nennt er gerne Frank Miller und Alan Moore, zwei sehr unterschiedliche Autoren, die allerdings beide mit Comics wie The Dark Knight Returns, Killing Joke und Watchmen dazu beigetragen haben, dass das Superheld*innen-Genre für eine ganze Weile deutlich düsterer und edgier wurde. Ennis selbst schrieb 1995 Punisher kills the Marvel Universe, in dem Anti-Held Frank Castle sich bei X-Men und Avengers für den Tod seiner Familie rächt. Außerdem ist er, zusammen mit Steve Dillon, mit dem er zuvor an Hellblazer arbeitete, für Preacher verantwortlich; wie The Boys auch eine Comicvorlage für eine Amazon-Serie. Ennis Figuren sind in der Regel selbstmitleidige Männer, die oft Traumatisches erlebt haben und außerhalb des moralisch Guten agieren. Eigentlich keine Sympathieträger, aber wenn man sich selbst für ein Opfer seiner Umstände hält und ein wenig den satirischen Subtext ignoriert, dann können sie für manche wohl durchaus sympathisch wirken.
Das erklärt eventuell auch, dass The Boys-Charaktere wie Homelander und Blue Hawk tatsächlich Fans finden konnten. Wir haben mindestens vierzig Jahre gelernt, regelbrechende Männer mit Trauma als Helden zu akzeptieren und ein stückweit sogar zu lieben. Sie werden als falsch verstanden, interessant und neu wahrgenommen. Vor dem Hintergrund, dass es im Grunde seit Jahrzehnten der gleiche Archetyp ist, scheint das allerdings ein wenig ironisch.
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