Capepunk: Having superpowers is bad, actually
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Während einer Promo-Tour für seinen Kurzgeschichtenband Illuminations machte Alan Moore (Autor von V for Vendetta, League of Extraordinary Gentlemen, From Hell und Watchmen) letztes Jahr das, was er am besten kann: Über Superheld*innen-Comics schimpfen. Erwachsene, die massenweise Batman-Filme schauen, seien angetrieben von dem Wunsch nach einer einfacheren Welt; ein Wegbereiter für Faschismus, erzählte er dem Guardian. Superheld*innen-Comics würden nicht für ältere Menschen entworfen, sondern explizit für 12-jährige Jungs. Dass Geschichten über Personen in Capes Erwachsenenliteratur sein könnten, sei ein Irrglaube aus den Achtzigerjahren.
Das ist alles nicht neu. Moore rantet seit seinem großen Streit mit DC über Superheld*innen und die Comicindustrie. Damals versprach man ihm das Urheberrecht für die Figuren aus seiner Watchmen-Reihe. Als sich das ganze als extrem lukrativ herausstellte, nutzte der Verlag aber dann allerlei rechtliche Schlupflöcher, um genau das zu verhindern. Bis heute ist DC der offizielle Inhaber aller Watchmen-Charaktere und hat den ein oder anderen schon mit Batman interagieren lassen.
Für Moore muss das vor allem deswegen frustrierend sein, weil er einen Großteil seines Werks als subversive Counterculture zum Superheld*innen-Mainstream versteht. Seine These, dass Superheld*innen faschistisches Potential haben oder zumindest psychisch labil sind, steckt bereits in seinen Miracleman-Comics. In einem Vorwort bezeichnet er den Protagonisten als Nazi-Ideal und unterlegt ein paar Panels mit Nietzsche-Zitaten zum Übermenschen. Watchmen umfasst zwölf Hefte über Superheld*innen, die sich im Laufe der Geschichte als Vergewaltiger, Mörder und Perverse mit Allmachtsfantasien herausstellen und dennoch von der US-amerikanischen Regierung als Super-Polizist*innen eingesetzt werden. Der Titel ist ein direkter Verweis auf Juvenals „Quis custodiet ipsos custodes“ (auf englisch grob „Who watches the watchmen“). Vieles, was Moore in seiner Hochphase gemacht hat, ist ein nicht gerade subtiles und etwas selbstgefälliges „Having superpowers ist bad, actually“.
Capepunk nennt das Wiki TV-Tropes diese Art von Narrativ. Der Versuch, klassische Superheld*innen-Erzählungen zu dekonstruieren, indem man sie mit Themen konfrontiert, die sonst wenig bis gar keinen Raum bekommen; oft mit dem Versuch, die Geschichte dadurch realistischer wirken zu lassen. Wie verhält sich eine Person mit übermächtigen Kräften gegenüber komplexen politischen Situationen? Mischen sich Superheld*innen in Weltkriege ein? In welcher psychischen Verfassung muss man sein, um sich einen Umhang und eine Maske anzuziehen? Capepunk gibt darauf Antworten; meistens zynische. In Kick-Ass von Mark Millar verkleidet sich ein unsicherer Teenager als Superheld und wird in der ersten Nacht zusammengeschlagen. In Garth Ennis und und Darick Robertsens The Boys wird der Kollateralschaden von Held*innentaten vertuscht. Der Guardian of the Galaxy-Regisseur James Gunn hat 2010 den Film Super gemacht, in dem jemand unter Halluzinationen leidet und alle brutal mit einem Rohr verprügelt, die er für böse hält (einmal einen Mann, der sich in einer Warteschlange vordrängelt).
Auch wenn Alan Moore ordentlich dazu beigetragen hat – die Hochphase dieser bitteren Erzählungen scheinen die Nullerjahre bis in die Zweitausendzehner zu sein. Neben Kick-Ass hat Mark Millar in dieser Zeit noch Nemesis und Jupiter’s Legacy, zwei Comicreihen mit einer deutlichen „Power corrupts, absolute Power corrupts absolutly“-Thematik, geschrieben. The Boys und Super sind auch in diesem Zeitraum entstanden. Der viel gelobte Film Chronicles über drei Jugendfreunde, die überraschend Superkräfte bekommen und sie nicht unbedingt für Gutes oder sogar ausschließlich Böses einsetzen, kam ebenfalls 2010 heraus. Invincible, Hancock, Powerless und Brightsburn (interessanterweise auch produziert von James Gunn) erschienen alle zwischen 2000 und 2019.
Ähnlich wie bei Punk auch hat sich der Mainstream Capepunk schon seit einer Weile einverleibt. Fanliebling Deadpool weist sehr gerne darauf hin, wie sehr er Gewalt glorifiziert, während er Gewalt glorifiziert. Der MCU-Film Civil War beschäftigt sich, angelehnt an die gleichnamige Comicreihe, mit Fragen um Sicherheit vs. Freiheit und wie sich Superheld*innen zu internationaler Politik verhalten. Und Superman ist aus einem Schutzbedürfnis heraus so häufig zum Diktator geworden, dass sich einige schon darüber beschweren, was für eine langweilige Erzählung das Ganze ist.
Ich kann Alan Moore zumindest teilweise ganz gut verstehen. Eine idealistische Ermächtigungsfantasie kann schnell zu einer Allmachtsfantasie werden. Und die Idee eines erwachsenen Menschen, der sich in unserer sehr komplexen Welt selbst dazu berufen fühlt, „das Böse“ mit körperlicher Überlegenheit zu besiegen, scheint mir auch größenwahnsinnig bis wirklich gefährlich zu sein. Aber Superheld*innen-Geschichten spielen nun mal nicht in der „realen“ Welt. Sie sind fiktiv und Projektionsfläche für Wünsche, Ängste und Hoffnungen. Versteht man, dass Capepunk und Superheld*innen-Mainstream kulturell schon immer voneinander profitiert haben, bemerkt man schnell, wie ähnlich die Aussagen „Power corrupts“ und „With great Power comes great responsibility“ eigentlich sind.
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