AI-Comics sind ein Debatten-Albtraum
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Es gibt gute Gründe, warum ich hier noch nie über Comics geschrieben habe, die mit künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Hauptsächlich deshalb, weil die Debatte darum ein Fass ohne Boden ist: Autor*innenschaft, Probleme mit Persönlichkeits- und Urheberrecht, narzisstische Kränkungen, vorurteilsbehaftete Algorithmen, Angst vor Existenz- oder Qualitätsverlust sowie Fragen nach einer neuen Kunstdefinition. Lange wusste ich nicht, womit ich anfangen sollte.
Dann war in den letzten Wochen Zarya of the Dawn in der Presse und überall im Netz, weil das AI-erstellte Comic einen Urheberrechtsschutz erhielt, der ihm später entzogen wurde. Offenbar hatte die zuständige Stelle übersehen, dass die Zeichnungen mithilfe des AI-Programms Midjourney erstellt wurden. Künstler*in (Pronomen: She/They) Kris Kashtanova beteuert, deutlich auf den Ursprung der Illustrationen hingewiesen zu haben. Wer neugierig ist, kann das Comic auf aicomicbooks.com umsonst herunterladen. Spenden werden nach Angaben von Kashtanova für wohltätige Zwecke eingesetzt.
Einige Tiktoker*innen versuchten zu entschlüsseln, mit welcher Begründung der Urheberrechtsschutz von Zarya of the Dawn aufgehoben wurde. Einer behauptete, es habe etwas mit dem Affen-Selfie von 2011 zu tun und das seitdem nach US-Gesetz nur Menschen im Besitz von Copyright-Schutz sein können; keine Tiere und keine Maschinen. Ich habe zu wenig rechtliche Expertise, um das nachzuprüfen.
Ammaar Reshi erhielt in letzter Zeit ebenfalls einiges an Aufmerksamkeit. Der Produktdesigner benutzte Programme wie ChatGPT und Midjourney um nach eigenen Angaben ein Kinderbuch an einem Wochenende zu erstellen. Kashtanova retweete den Post. Manche lobten Reshis Versuch, etwas Neues zu schaffen, andere kritisierten die Qualität der Illustrationen. Auf Amazon, wo man Alice and Sparcle für etwa fünf Dollar kaufen kann, hagelt es enttäuschte Rezensionen. „Firstly, there is no story“, heißt es zum Beispiel.
Und nachdem ich eine handvoll AI-Comics gelesen habe, bekomme ich das Gefühl, fehlende Stories sind in diesem Bereich allgemein ein Problem. Midjourney greift auf sehr viele Daten in unterschiedlichen Stilen zurück. Jedes Bild, das das Programm errechnet, sieht mit hoher Wahrscheinlichkeit stilistisch sehr anders aus als das nächste. Hauptaufgabe von den Comicproduzent*innen ist dementsprechend mit Ausprobieren genug ähnlich aussehende Ergebnisse zu erhalten, dass damit etwas erzählt werden kann. Es ist, als säße man in einem riesigen Filmarchiv und müsste daraus eine Geschichte zusammenschneiden. Die Held*innen in AI-Comics wandern häufig wahllos umher. Es gibt eine Vielzahl an Traumsequenzen, was Sinn ergibt wenn man bedenkt, dass Träume oft ebenfalls eine kryptisch zusammengeworfene Ansammlung von archivierten Bildern sind. Wenn es eine Handlung gibt, dann wird sie etwas unbeholfen in Textboxen erzählt; oft mit nicht so schönem Lettering. Einen konstanten Stil herzustellen scheint so viel Raum in Anspruch zu nehmen, dass der eigentliche Grund, warum wir Comics lesen – spannende, lustige oder berührende Geschichten – größtenteils in den Hintergrund gerät.
Mein aktueller Lieblingsbeitrag zu AI-Comics ist dieses Video von Cartoonist Elvis Deane. Wie viele andere wünscht er sich eine eigene illustrierte Geschichte zu erzählen, glaubt aber, dass seine künstlerischen Fähigkeiten dafür nicht ausreichen. (Letzterem würde ich widersprechen. Deanes Webcomics sind ziemlich gelungen. Man kann ihm auf Instagram folgen).
Aus seinem AI-Experiment ist Goats entstanden, das man bei Webtoons gratis lesen kann und natürlich mit einer Traumsequenz anfängt. Deanes hat einige sehr spannende Beobachtungen gemacht. An einer Stelle beschreibt er die Arbeit mit der AI als „Improvisation mit genialen Schauspieler*innen, die allerdings deine Sprache nicht verstehen“. Er habe zum Beispiel „[Person] ducks behind a bush“ eingetippt und herausgekommen sei ein Bild mit einer Person, Enten und einem Busch. Action-Szenen seien ebenfalls schwierig zu erzeugen. Deanes vermutet, dass die AI möglicherweise das notwendigen Material geblockt hat, um Darstellungen von Gewalt zu vermeiden. Mehrfach habe er versucht seine Hauptfigur zum Rennen zu bringen; ohne Erfolg. Am Ende musste er darauf achten, welches Material das Programm ihm vorgibt, um dann daraus mit Hilfe von Text eine Geschichte zu formen. Aus dem klassischen Erzählprinzip „Show not tell“ wurde in diesem Kontext eher „Telling not showing“. Die Arbeit mit einer AI, fasst er zusammen, sei aktuell definitiv noch nicht präzise genug, um damit Comics zu erstellen, die mit handgemachten Produkten konkurrieren könnten.
Diese ganze Debatte um AI-Comics erinnert mich sehr an die Tracing-Diskussion der Neunzigerjahre, die bis heute nicht wirklich abgeschlossen ist. Tracing meint in diesem Kontext, grob gesagt, das Kopieren oder Wiederverwenden von schon existierenden Illustrationen oder Fotos. Für manche gilt das als Schummeln oder sogar als Diebstahl von geistigem Eigentum. Erst gerade bin ich auf einen Tiktok gestoßen, in dem sich eine Illustratorin gegen einen Tracing-Vorwurf wehrt, als sei das etwas zutiefst Unmoralisches. Dabei wurde schon seit der Existenz von Comics getraced (und natürlich davor auch). Eine Illustration von Jack Kirbys Invisible Woman 1964 sieht einer Pin-Up-Zeichnung aus dem Playboy ein Jahr vorher verdächtig ähnlich. 1990 drohte das Management von Sängerin Amy Grant Marvel mit einer Klage, weil ein Cover von Vampire Verses: Dr. Strange offensichtlich von einem Grant-Albumcover abgezeichnet war. Und der Zeichner Greg Land hat, nicht ganz zu Unrecht, den Ruf, regelmäßig abzuzeichnen. Sein Cover von Sojourn ist ziemlich eindeutig von einer Sports Illustrated abgepaust. Andere Illustrationen von Lands ähneln sehr einem Nacktfoto von Pamela Anderson.
Tracing gilt allerdings nicht nur als problematisch, weil manche das Gefühl haben, man hätte sich nicht genug Mühe gegeben. Oft sind die Ergebnisse unzufrieden stellend, weil das abgezeichnete Material selten zu dem passt, was die Szene aussagen möchte. Lands Frauenfiguren reißen immer auf die gleiche Art den Mund auf; egal ob sie nun verängstigt oder begeistert sind. Davon abgesehen wird dabei meistens Material verwendet, zu dem die Zeichner*innen keine Urheberrechte haben. Im schlimmsten Fall werden dann noch Persönlichkeitsrechte, wie die von Pamela Anderson oder Amy Grant verletzt, die nicht gefragt wurden, ob sie Teil eines Comics werden möchten.
Die Debatte um AI-Comics ist in so vielen Fällen der Tracing-Debatte ähnlich. Elvis Deane gibt zu, dass er bei Goates die Namen von Celebrities bei Midjourney angegeben hat, um ein konsistentes Bild seiner Hauptfigur erzeugen zu können. Dass das Probleme mit Persönlichkeitsrechten mit sich bringt, weiß er. Auch der Vorwurf, Tracing erzeuge generische Bilder, lässt sich in der Kritik von AI-Comics wiederfinden. Selten sind mit Midjourney erstellte Gesichter sonderlich aussagekräftig. Das Programm setzt unzählige Datensätze zu einem zusammen. Eine präzise, eindeutige Bildersprache lässt sich damit nicht erzeugen. Das lässt die Arbeitsweise der aktuellen AI nicht zu. Ich will nicht ausschließen, dass es irgendwann gute AI-Comics geben wird. The Bestiarity Chronicles hab ich tatsächlich ganz gerne gelesen. Aber es gibt Gründe, warum die meisten dieser Projekte kostenlos verfügbar sind. Sie sind urheberrechtlich, persönlichkeitsrechtlich und oft stilistisch ein Albtraum.
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